Mittwoch, 29. September 2010

Krustentiere in Sawtelle


English Version 

Es gibt in Los Angeles mehrere ehemals unabhängige Kleinstädte, die heute seit langem annektiert worden sind.  Ein gutes Beispiel ist Sawtelle, die in den 1880er Jahren am südlichen Tor des Geländes des „Los Angeles Old Soldiers‘ Home“—oder wie es heute heißt, des Los Angeles Veterans Administration Hospital.

Schon im frühen 20. Jahrhundert siedelten sich viele Issei und Nissei—Japanesischer Einwanderer  und deren Kinder erster Generation—in Sawtelle an, und das Städchen hat den Namen „Little Osaka“ bekommen, um von „Little Tokyo“ in der Innenstadt Los Angeles auseinander zu halten.


"Little Tokyo" und "Little Osaka"

Etwa fünfzig Meter südlich der Kreuzung Sawtelle und Santa Monica Boulevard liegt eine kleine von der Stadtwerk verwalteten Abstellfläche, nahe bei einigen Bürgegeschäften und dem Bezirksgerichtshof.  Von den meisten ins Gerichtshof hineinwollenden Besuchern unbemerkt, und nordöstlich der Abstellfläche, steht das eigenartige Gebäude eines Kunsthandels, das sich auf die Lande südlich der Sahara spezialisiert.  


Kunsthandel "Turkana"

Die Fassade dieses Gebäudes ist dekorativ angestrichen, um die Ostafrika-Thematik zu unterstützen, dennoch ist es größtenteils unmerkwürdig.  Hinten angesehen erweiß sich das Haus als ziemlich alt.  Den Unterlagen des Bezirkslandeinschätzers zufolge, ist das Gebäude etwa 1933 errichtet worden, dennoch glaube ich, daß es mehrere Jahrzehnten älter ist.  


Von hinten ganz anders!

Im Allgemeinen, sind die zwischen 1930 und 1950 in Los Angeles entstandenen Geschäftshäuser entweder im einfachen, ziemlich harten,unverzierten modernistischen Stil aufgebaut wordern; oder im „spanischen“ Stil—die Außenwände so verputzt und angestrichen worden sind, um an den historischen Spanischen Missionen zu errinern.  Bei diesem Gebäude ist dies nicht zu bemerken.  Stattdessen ähnelt es eher diejenige, die im spaten 19.- und im frühen 20.-Jahrzehnten entstandenen sind.  Das lässt sich an den Fenstern mit niedrigen Ziegelsteinbogen erkennen.  Es ist ziemlich ironisch daß in dieser Stadt, relativ alte Häuser unbemerkt bleiben, es sei denn das Gebäude herunterngekommen und leer steht.  Wenn aber ein Geschäftshaus 90 Jahren in fortwährender Gebrauch steht, man unterschätzt oft den Alter des Gebäudes, da es nur sehr wenige solche alte Häuser geben soll—der Volksweisheit zufolge.

Nun wollen wir uns der Kunsthandels ein bißchen näher anschauen, insbesondere das Fenster, das im Foto hinter das weiß-grüne Pickup zu finden ist.



Von den Palmenbäumen fallen oft gekrümmte Stammrinden herab.  Als ich dieses Fenster zum ersten Mal sah, glaubte ich das sich draußen an der  Fensterscheibe eine Unmenge dieser Palmenstammrinden angehäuft hätten.  Doch so ist die Lage night—es sind aber lauter die harten, abgetrockneten Außenhäuter von so vielen Hummern.  Die Hüllen sind von der Sonne nahezu weiß gebleicht worden—  dauernd wer weiß wie vieler Sommernachmittage?   Und was ist mit dem sehr professionell eingraviertes Schild, das links neben das Fenster an der Wand festgemacht worden ist?



Dringen werden wir gebeten, seinen Shrein zu achten—aber wem gehört er denn?  In den letzten achtzehn Monaten hatte ich das gerne wissen wollen, doch war ich ratlos.  Der Kunsthandelgeschäft steht praktisch nie offen und daher war es unmöglich bloß hineinzubummen, um Fragen zu stellen. Doch habe ich vor einigen Wochenden den Eigentümer  endlich am Telefon erreichen können.  Ernest Wolfe--so heiß er--ist auch Gerätetaucher, der gerne ins Meer nach Hummern auf die Jagd geht.  Der Schrein, laut Mr. Wolfe, soll uns daran erinnern, vor allen Lebensformen die angemessene Hochachtung darzulegen—und auch Dankbarkeit für das sehr leckere von diesen Meeresbewohner erworbene Fleisch.
  
 Ich beantwortete Mr. Wolfe, daß ich diese Stellung  absolut vollkommen aufrechterhalten wollte.  Ich verspreche es  jedermann das ich allen Hummern sowie anderen Krustentieren, die man mir auf den Tisch hinlegen will, den größten Respekt anzubieten.  Übrigens ist die Geschichte von Ernie Wolfe selbst eine Sache vom größten Interessen;  ich hoffe eines Tages tiefer darauf eingehen zu können

Samstag, 25. September 2010

Des Eroberers Turm

(English version here)


Binnen zwölf Kilometer des Los Angeles Rathauses, gibt es zahlreiche Mietshäuser, die in den 1920er Jahren aufgebaut worden sind.  Für uns hier ist das richtig alt, nicht so sehr an sich selbst, aber deswegen weil sie uns an  ein früheres Zeitalter errinern,  die  uns anscheinend so entfernt ist wie das europäische Mittelalter.  Der Volksweisheit zufolge, ein Jahr im Leben eines Hundes gleicht sieben Jahre des Menschen.  Ähnlicherweise, in Bezug auf architektureller Geschichte, ein Gebäude in Los Angeles die nach 90 Jahren noch erhalten ist, lässt hier Wunder und Neugier an, ebenso wie ein in 1410 gebautes Bürgerhaus in Göttingen oder Rothenburg. 
 Wer in den 1960s oder 1970s hier aufgewachsen ist,  hat meistens in Schulgebäuden gelernt, die jünger als die Schüler waren.  Ähnlicherweise hat man oft in einen Haus gewohnt, daß ebenso jünger als die Besetzer ist. 


Es gibt drei Hauptgründe dafür.  Erstens, ab etwa 1920 die blitzschnelle Bevölkerungswachstum sorgte dafür, daß die einzelnen Nachbarschaften und Stadbezirken in kontinuellem Wandel begriffen waren.  Wo einst Wohnhäuser standen, wurden nun jetzt Geschaftshäuser gebaut; die laufende Verfügbarkeit billiger Grundstücke und PKWs brachten die Suburbanisierung an—sowie den Abriss zahlreicher historischer Hotels und anderer historischen Gebäude der Innenstadt, die an die Cowboys und Rancheros ihrer frühesten Geschichte errinerten, um Parkplätze zu versorgen.   Zweitens waren es die Erdbeben und Wiederaufbau vieler Gebäude, und drittens ungeheuerliche Wiederaufbauprojekte, darin die meisten Wohnunungen der Zentralstadt abgerissen worden sind.    Ab 1950 bis 1990 ist die Zentralstadtbevölkerung Los Angeles drastisch geschwunden, bis zu einem Bruchteil ihrer Hohepunkt etwa im Jahre 1950.  Das ist wegen u.a. des Bunker Hill Redevelopment Project und, natürlich, des Suburbanisierungtrends geschehen. 
Heutzutage hat sich die Lage wesentlich geändert.   Der Bevölkerungswachstum nimmt immer noch an, doch—zum Vergangenheit im Vergleich—viel langsamerer.  Die bestehenden Nachbarschaften haben sich stabilisiert, und die noch existierenden Gebäude von den 1920s dürfen meistens weiterstehen.  Endlich können sich die Angelenos alte Bauten anschauen, und sich darüber wundern, was sich "vor Zeiten"  binnen derer Türe vollgezogen hat.  Wenn nur die Wände reden könnten...

Und wir werden sehen, das können sie schon.

Stellen wir uns vor: wir laufen südwarts North Van Ness Avenue entlang und betreten gerade den 800-Block.  Wir befinden uns im östlichen Hollywood und kommen an die Paramount Studios vorbei. In mittlerer Ferne erspähen wir ein merkwürdiges Mietswohnhaus, von den Bäumen eines alten Baumes umrahmt.


Wem gehört diese starken Mauern? Wir bringen Geschenke.


Hmmm.  Die rote Fassade und rosa Seitenwände sind ziemlich sonderlich, und das Haus ist wesentlich größer als die kleineren Mietshäuser und Einzelfamilienhäuser in der Nähe.  Es errinert uns ein bißchen an die buntgemalten Viktorianisch-Häuser, die in San Francisco zu sehen sind.  Sonst fällt uns nichts Sonderliches auf.

Bummeln wir doch ein par Meter weiter heran.   Nun drehen wir uns nach links, und -- sehet da! -- da steht das Haus Alexander, Herrscher aller Welt, vor dessen Mäjestät wir schaudern!

Ich weiß nicht, ob man Alexander vom Anfang an hier den Eroberer so beehrt hat, oder ob das Haus vor zwei Jahren an einem Griechen oder Mazedonianern verkauft worden ist.   Doch weiß ich einiges schon: Es ist sehr zu freuen, daß der Gebäudeeigentümer den namen ALEXANDER auch im korrekten Griechischen aufgeschrieben hat: ΑΛΕΞΑΝΔΡΟΣ.

Jetzt wollen wir auf die Details dieses ehrfurchtgebietendes Anbaus genauer eingehen.  Was habe ich schon über redenden Mauern gesagt?  Das diese hier schon sehr fliessend spricht, ist nicht zu verleugnen.  Aber ob sie etwas Wertvolles zu sagen hat ist unklar.

Wo sich die Schnecken ausruhen
Wir bemerken zuerst das dekorative Muster, das etwa eine Schneckenherde ähnelt.  Eine Schnecke sitzt bequem auf dem Rohrenendverschluss.   Im Bezug aufs Schild, man darf sagen, daß bessere Reklamewahrhaftigkeit bisher noch zu entdecken ist:  Ein weiteres kühnes Bauprojekt.  Kühn?  Offensichtlich!


Bezüglich der "Schnecken", manch einer glaubt, der Maler habe das klassische Griechische Verierungsmuster nachbilden wollen, wie dies hier--




doch habe er nicht genau gewußt, wie es ausseshen soll.   Doch glaube ich das nicht.  Wer "Alexander" auch im Griechischen zu schreiben weiß, der soll den Unterschied klar verstehen können!  Meiner Meinung zufolge, ist der Maler oder der Hauseigentümer von seiner Bewunderung Alexanders und der klassischen Griechen so sehr bewegt worden, daß er sich bloß gesagt hat: Wir wollen Schnecken malen!  Oder Aale!  Oder Seilenrolle--oder irgend sonst was, das sich aufrollen lässt.  Wieso Rollen?  Ich weiß nicht.


Und es gibt noch weiteres.  Dieser Unbekannte hat das Gebäude mit achtbaren Nachbildungen klassischer Basreliefs geschmückt.  




Und das Profilbild des mächtigen Eroberes, direkt über der Haustür (und unter der Feuerleiter), braucht man kaum zu erwähnen.


Die Hauptpforte
Dreitausend Jahren sind vorbei, da König Priam gesaget hat: "Machet nicht die Pforte auf, so ein großes Pferd passt nimmer herein.  Stattdessen, rufet ihr das Warenhaus an, und saget ihnen, wir haben uns anders entschieden!"  Doch, wir sollen in Griechenland sein, daher war das Problem, das Riesenpferd herauszubringen.
 

Man bemerkt sofort daß diese Tür zum aesthetischen Muster des restlichen Gebäude nicht genau anzupassen scheint.  Es ist zu vermuten, daß die originelle Tür ersetzt worden ist, denn diese, die wir hier sehen, ist ein gutes Exemplar des Jugendstils--und daher etwa 20 Jahren bevor das Baudatum des Hauses--1927--entstanden ist.


Und jetzt verabschieden wir uns vom Haus Alexanders, Eroberers der Welt.  Demütig gestehen wir, daß wir die Anzahl an ekzentrischen Kleinoden der Stadt bei weitem unterschätz haben.